Dienstag, 4. Mai 2021
Kennen Sie oder Ihre Klienten das? Businessmeeting kurz vor dem Mittagessen:
Alle haben bereits Hunger und sind gedanklich schon in der Mittagspause.
Gleichzeitig wundern Sie sich oder Ihr Klient, warum die Ergebnisse dieses Meetings regelmäßig zu beanstanden sind, ja mitunter sogar schlechte Laune herrscht
Es könnten jetzt große psychologische Methoden ausgepackt werden, doch das braucht es nicht. Die schlechte Laune der Teilnehmenden ist nicht auf zwischenmenschliche Probleme zurückzuführen und liegt auch nicht an mangelnder Arbeitsmoral. Stattdessen ist es der Kontext, der für den Unmut verantwortlich ist. Eine sogenannte Kontextveränderung kann schon ausreichen um eine entsprechend große Wirkungen zu erzielen.
Wie wäre es, wenn das Meeting zu einer anderen Zeit stattfinden würde. Zum Beispiel zum Arbeitsbeginn?
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dasselbe Meeting dann völlig anders abläuft.
Faktoren wie beispielsweise Hunger können unsere Persönlichkeit in einer Situation mehr beeinflussen als viele Menschen denken.
Ich habe eine Kollegin, die sehr aggressiv reagiert, wenn sie arbeitet. Während der Arbeit ist sehr fokussiert auf ihre Aufgaben und wird nicht gern gestört. Während der Pausen ist sie freundlich und aufgeschlossen für meine Anliegen. Logisch, dass ich sie nur noch dann anspreche.
Solche Vorgehensweisen wenden wir täglich an. Fast schon banal, könnte man sagen.
Neue Chancen der Gestaltung
Wir wenden die Wahl eines geeigneten Kontextes eher unbewusst an. Wenn Dinge in bestimmten Situationen nicht wie gewünscht laufen, schauen wir eher auf die Persönlichkeit unseres Gegenübers als auf die Umgebungsbedingungen.
Hier liegt eine neue Chance der Gestaltungsmöglichkeit für uns.
Ein Klient beklagte sich darüber, dass sein Großvater ihn beim Kaffeetrinken ständig kritisierte. Das ging so weit, dass der Klient eigentlich gar keine Lust mehr hatte ihn zu besuchen.
Ich schlug vor, einmal etwas anderes zu unternehmen, als Kaffee zu trinken.
Der Klient machte beim nächsten Besuch mit seinem Großvater einen Ausflug zu einem Schiffshebewerk. Es wurde fotografiert, über die technischen Eigenheiten des Werks gesprochen und Geschichten erzählt. Der Klient geriet nicht ins Kreuzfeuer der großväterlichen Kritik.
Er hatte einen anderen Kontext gestaltet, indem der Großvater sich auf etwas anderes fokussierte als die Leistungen des Klienten.
Fortan unternahmen die beiden etwas, wenn sie sich trafen. Auf diese Weise verbesserte sich die Beziehung deutlich.
Ich möchte Ihnen ein paar Ideen an die Hand geben, die sie für eine Kontextänderung in Betracht ziehen können:
- Welche Personen sind anwesend: Menschen ändern ihre Art und Weise je nachdem, welche Personen anwesend sind. Im Arbeitskontext wird das schnell sichtbar, zum Beispiel, wenn jemand mit Vorgesetztenfunktion mit im Raum ist oder nicht.
- Räumliche Umgebung: Ist der Raum, in dem Sie sich befinden, angenehm? Oder beengt er Sie? Sind Sie draußen oder drinnen?
- Temperatur: Ist es vielleicht zu kalt oder zu heiß?
- Persönliches Befinden: Hunger, Durst, Müdigkeit, Krankheit oder Stress in einem anderen Lebensbereich können sich massiv auf unser Verhalten auswirken. Manchmal kann es sich lohnen, dann ein Gespräch zu verschieben.
- Tageszeit: Wenn Sie als Frühaufsteher morgens auf jemanden Treffen, der eher eine Nachteule ist, dann könnte es sinnvoll sein, noch ein wenig zu warten mit Ihrem Anliegen. Das Gleiche gilt für das Mittagstief.
- Smartphones: Hat Ihnen ein leuchtendes oder klingelndes Smartphone schon einmal die Laune im Kino verdorben? Die „Smartphone aus!“ Durchsage vor Beginn eines Filmes ist eine Kontext-Veränderungs-Intervention. Es kann auch vor Gesprächen sinnvoll sein, das Handy stumm zuschalten und außer Sichtweite zu platzieren.
In problematischen Situationen haben Sie die Möglichkeit, eine Veränderung zu gestalten, indem Sie die Kontextbedingungen verändern. Diese Möglichkeit der schnellen Intervention hat den Vorteil, dass sie ohne viel Energie zu verwenden, durchgeführt werden kann. Oft wird Ihr Gegenüber mühelos Verständnis haben oder sich sogar freuen, wenn er nicht mehr mit knurrendem Magen in einem Meeting festhängt.
Dieser Artikel stammt von Steffen Raebricht.